Die Konjunktiv-Kultur: Wo Ideen blĆ¼hen, aber Taten in der Warteschleife hƤngen

haltung arbeit Aug 26, 2024

Sowohl in der Politik als auch in vielen Unternehmen tritt schon seit längerem zunehmend ein Phänomen auf, das mein Interesse geweckt hat. Ich nenne es die Konjuktiv-Kultur. Sätze wie: "Wir sollten mal" und "Man müsste mal" haben Einzug in vielen der unzähligen Meetings und politischen Interviews gehalten. Es ist so selbstverständlich geworden, das kaum mehr einer nach konkreten Maßnahmen und Verantwortlichkeiten fragt. Wieso nur fällt es den Menschen zunehmend schwerer, konkret zu werden oder loszulegen und Verantwortung zu übernehmen? Ein Blick hinter der Kulisse dieser Kultur lohnt sich, denn es zeigt, dass die Konjuktiv-Kultur nur die Spitze des Eisbergs ist.

In diesem Blog wage ich den Versuch, die Hintergründe dieser Kultur zu enthüllen und zeige konkrete Maßnahmen auf, die Verantwortungsträger:innen angehen müssen, um schrittweise diese schädliche Kultur ablegen zu können. Zugegeben, der Ideenreichtum in Meetings ist teilweise groß. Denn die Floskeln "Man sollte" und "Wir müssten" suggerieren allen Beteiligten vermeintliche Handlungsfähigkeit. So wie Millionen Menschen in Deutschland genau wissen, wie wir Fußballweltmeister werden und wie die Politik die komplexen Themen Migration und Inflation in den Griff kriegen, sind sich in Meetings auch alle schnell einig, was getan werden müsste.

So verlassen wir manchmal mit einer Aufbruchstimmung diese Arbeitstreffen, um nach einer Weile festzustellen, dass niemand das Heft in die Hand genommen hat. Die Enttäuschung und der Ärger über die Anderen ist dann groß.

Oft hilft es sich dem Thema von der anderen Seite zu nähren, nämlich mit der Frage:

Welche charakteristischen Merkmale bzw. Verhaltensweisen bringen Menschen denn mit, die nicht nur Reden sondern auch ins Handeln kommen?

  1. Identifikation mit dem Erfolg: Personen, die Verantwortung übernehmen, identifizieren sich oft stark mit den Ergebnissen ihrer Handlungen. Der Erfolg oder Misserfolg wird persönlich empfunden, da sie ihre Aufgabe nicht nur als Pflicht, sondern als einen Beitrag zu ihrem eigenen Erfolg sehen.

  2. Mut und Lernbereitschaft: Wenn jemand Verantwortung übernimmt, bedeutet das oft, Entscheidungen zu treffen und Risiken einzugehen. In einer komplexen Welt, ist es nicht immer möglich, richtig zu liegen und Fehler gehören dazu. Menschen, die ins Handeln kommen, sehen Fehler als Chance zur Verbesserung und nicht als Angriff auf das eigene Selbstwertgefühl.

  3. Werteorientiert handeln: Menschen, die sich ihrer Werte bewusst sind und im Einklang mit ihnen handelt, fällt das Nichtstun grundsätzlich schwerer.

  4. Entschlossenheit: Entschlossenheit ist eine Schlüsselqualität. Diese Menschen haben einen klare Vision und sind entschlossen, ihre Ziele zu erreichen. Hindernisse werden als Herausforderungen betrachtet, nicht als unüberwindbare Barrieren.

  5. Selbstverantwortung: Anders als Menschen mit erlernter Hilflosigkeit, sehen Menschen die selbstverantwortlich sind, Erfolge oder Misserfolge eigenverantwortet. Sie wissen, dass sie zu jedem Zeitpunkt eine Wahl haben und nicht Opfer äußerer Umstände sind.

Sicherlich fehlen auf dieser Liste noch weitere Aspekte. Es dreht sich aber alles mehr oder weniger darum, dass verantwortungsvoll handelnde Menschen, sich klar über sich selbst und über ihre Ziele sind. Sich dadurch mit dem identifizieren, was sie tun und die Ressourcen dazu besitzen, aktiv zu werden. Frei nach Simon Sinek, ist diesen Menschen ihr

  • WHY -> Vision, Werte

  • HOW -> Mut, Entschlossenheit usw.

  • WHAT -> Ziele, Ergebnisse

 bewusst.

Ich bin davon überzeugt, dass wir wieder in die Verbindlichkeit zurückfinden, wenn wir ein Umfeld kreieren, in dem diese Aspekte wieder gewährleistet werden. Auch wenn uns das offensichtlich in den Jahren in vielen Teilen der Gesellschaft insbesondere in den Führungsebenen abhanden gekommen ist.

Führungsverhalten ist für mich nicht nur den Führungskräften vorbehalten, es fängt aber dort an und führt mich zu der zweiten Frage:

Welche Faktoren führen dazu, dass sich diese Kultur eingeschlichen hat und unbewusst von allen Beteiligten gelebt wird?

  1. Fehlende Vision und Strategie: Die steigende Komplexität durch Digitalisierung, neuer Technologien, Wettbewerb und geopolitischer Einflüsse in modernen Organisationen ist unumstritten. Abhängigkeiten und Unsicherheiten sind die Folge. Dies führt häufig zu mangelnder Klarheit in der Strategie und Zielsetzung.

  2. Das Festhalten an Bewährtem: Menschen und Organisationen neigen dazu, an etablierten Prozessen, Strukturen und Hierarchien festzuhalten. Gerade in Zeiten von Wandel, ist jedoch ein Mindestmaß an Innovationsfreude und Mut zu neuen Herangehensweisen erforderlich. Wie Albert Einstein eins sagte: "Probleme kann man niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind."

  3. Die Tendenz Nichts zu Entscheiden: Führungskräfte erleben die Komplexität hautnah und einher damit geht die Unsicherheit. Dies führt dazu, dass anstatt Entscheidungen zu treffen und auf Experten:innen zu vertrauen, der Blumenstrauß an Handlungsalternativen oftmals sogar noch vergrößert wird. Die Folgen sind Untersuchungsaufträge am Fließband ohne Entscheidungen.

  4. Die Beförderung von Gleichgesinnten: Schließlich ist die mangelnde Bereitschaft Diversität und andere Meinungen zuzulassen und zu fördern, der Sargnagel auf jegliches Veränderungsvorhaben.

Menschen neigen zunächst dazu, sich der Kultur eines Systems anzupassen, für das sie sich einst motiviert und freiwillig entschieden haben. Die Konjuktiv-Kultur wird zum Standard und erlebt Hochkonjuktur. Doch Vorsicht. Menschen, die was bewirken wollen, stellen schnell fest, in welche Falle sie getappt sind und wandern unter Umständen ab. Andere neigen eher dazu, zu demotivieren, dann schließlich zu resignieren und in die innere Kündigung zu fallen. Wer möchte, unter diesen Umständen die Person sein, die beim nächsten "Wir müssten mal", laut Hier schreit?

Welche konkreten Fähigkeiten bräuchte es nun, um dem Konjuktiv entgegenzuwirken?

  1. Vision und Werte: Was ist mir wichtig? Was inspiriert mich und woran möchte ich arbeiten? Diese Fragen zu beantworten, ist das A und O dafür, um in der Lage zu sein, ein Umfeld zu kreieren, in dem man selbst wieder gerne zur Arbeit geht und andere dazu inspirieren, Engagement und Verantwortung zu leben.

  2. Selbstreflexion und Selbstkorrektur: Nur mit dem bewusste Wahrnehmen, ist Veränderung möglich. Wie geht es mir aktuell? Wie verhalte ich mich und ist das im Einklang mit meinen Werten? Menschen mit ausreichend Selbstreflexion sind in der Lage, den Autopiloten abzuschalten und sich selbst und ihr Umfeld wahrzunehmen und zu hinterfragen.

  3. Feedback geben und annehmen: Diese Fähigkeit ist leichter gesagt als getan. Denn hier hinter steckt noch weit aus mehr, nämlich die Haltung ich bin nicht unfehlbar bzw. offen für die Perspektiven Anderer (Feedback annehmen) und ich bin bereit andere dabei zu unterstützen, erfolgreicher zu werden (Feedback geben). Mit anderen Worten: Mehr Selbtslosigkeit und weniger Egoismus.

  4. "Das Potenzial der Sitution" erkennen: Eine Fähigkeit oder Herangehensweise, die aus der daoistischen Kriegsführung stammt und sehr an das agile Arbeiten erinnert. Die Idee ist, dass die Realität unbestimmt ist und sich ständig verändert. Starre und langfristige Pläne, sind nicht zielführend. Das Agieren in kleinen Schritten inklusiver Anpassungen sind die passendere Herangehensweise in der sich ständig veränderndern Welt.

 Zusammengefasst ist die Konjuktiv-Kultur nur ein Symptom eines weitaus größeren Problems unserer aktuellen Gesellschaft. Überall da, wo mangelndes Führungsverhalten existiert, entsteht eine Kultur, des Zögerns, der Verantwortungslosigkeit und des Fingerpointings. Wir kommen allerdings nicht drumherum, uns persönlich weiterzuentwickeln, um in der Lage zu sein, diese Kultur zu überwinden.

Zum Schluß möchte ich an Alle, ob Fürungskraft oder nicht, appellieren, an sich zu arbeiten und die Verantwortung nicht bei anderen zu suchen. Es kann unter Umständen anstrengend sein, lohnt sich aber langfristig, denn es führt zu Selbstbestimmtheit und nimmt all denen die Macht, die uns vorgaukeln, mit einfachen Lösungen, ließen sich komplexe Probleme lösen.

Frei nach dem Motto: Love it, change it or leave it, haben wir Alle die Wahl.

Kultur verändert sich nur, wenn jeder bei sich anfängt, es vorlebt und damit Standards setzt.